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Modell Nutri-Score

In Deutschland nehmen die Menschen im Durchschnitt zu hohe Mengen an zugesetzten Zuckern, gesättigten Fettsäuren und Kochsalz auf, während gleichzeitig der Verzehr ernährungsphysiologisch günstiger Nähr-/Inhaltsstoffe, wie Ballaststoffe, bei den meisten Menschen zu niedrig ist. Die Folge ist ein erhöhtes Risiko für ernährungsmitbedingte Erkrankungen, zu denen beispielsweise Typ-2-Diabetes mellitus, kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall, aber auch verschiedene Krebsarten wie der Dickdarmkrebs gehören. Als verhältnispräventive Maßnahme soll eine erweiterte Nährwertkennzeichnung zur Verbesserung der Ernährungssituation beitragen und so, im Zusammenspiel mit anderen Maßnahmen (siehe auch: Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie des BMEL) dazu führen, dass geringere Mengen an ernährungsphysiologisch ungünstigen Nähr-/Inhaltsstoffen und höhere Mengen an ernährungsphysiologisch günstigen Nähr-/Inhaltsstoffen aufgenommen werden 

Hersteller von verpackten und vorgefertigten Produkten sind nach geltendem europäischem Recht verpflichtet, auf der Rückseite der Lebensmittelverpackung die Gehalte an Energie, Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß und Salz anzugeben (Artikel 30 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlamentes und des Rates; Lebensmittelinformationsverordnung, LMIV). Darüber hinaus besteht gemäß Artikel 35 LMIV die Möglichkeit, diese Informationen mit einer zusätzlichen freiwilligen Nährwertkennzeichnung auf der Vorderseite einer Produktverpackung, der sogenannten „Front-of-Pack“ (FoP)-Kennzeichnung bzw. erweiterten Nährwertkennzeichnung in ggf. vereinfachter Form darzustellen. Das Ziel aller FoP-Kennzeichnungen ist es, das Einkaufsverhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern dahingehend zu unterstützen, dass sie eine sogenannte „informierte Wahl“ für ernährungsphysiologisch günstigere Produkte treffen können. In der Summe sollen so weniger ungünstige und mehr günstige Nähr-/Inhaltsstoffe aufgenommen werden.
In Deutschland haben Lebensmittelproduzenten seit 2020 die Möglichkeit, den Nutri-Score rechtssicher auf der Vorderseite von verpackten und vorgefertigten Produkten anzubringen. Für die wissenschaftlich unabhängige und evidenzbasierte Weiterentwicklung des Berechnungs-Algorithmus ist das wissenschaftliche Gremium verantwortlich, an dem das Max Rubner-Institut (MRI) direkt beteiligt ist. Auch bevor im Jahr 2019 die Wahl auf den Nutri-Score fiel, hat das MRI den politischen Prozess zur Wahl eines geeigneten Nährwertkennzeichnungs-Modells (NWK-Modells) beratend begleitet.
 

Allgemeines zum Nutri-Score

Der Nutri-Score ist eine eingetragene Marke des französischen Gesundheitsministeriums Santé publique France. Zur Nutzung müssen sich lebensmittelproduzierende Unternehmen bei dieser kostenlos registrieren. Bereits seit 2017 wird der Nutri-Score in Frankreich angewendet. Eingeführt wurde er außerdem bislang in  Belgien (2018), der Schweiz (2019), in Deutschland (2020),Luxemburg (2021) und den Niederlanden (2024). Er ist in allen Nutri-Score nutzenden Ländern eingebettet in nationale ernährungspolitische Konzepte und ergänzt sich so mit weiteren Maßnahmen.

Der Nutri-Score ist eine FoP-Kennzeichnung, die die Nährstoffzusammensetzung bzw. den Nährwert eines verpackten Lebensmittels zusammenfassend bewertet und durch eine farbcodierte, fünfstufige Skala, verbunden mit den Buchstaben von A bis E, darstellt. Um eine ausreichende Differenzierbarkeit von Lebensmitteln mit unterschiedlichen Nährstoffzusammensetzungen zu gewährleisten, wird angestrebt, dass mindestens drei Bewertungsstufen, etwa von A bis C oder von B bis D, in einer Produktgruppe vorhanden sind. Dabei gehören z.B. gleiche Produkte unterschiedlicher Hersteller in einer Produktgruppe (Erdbeerjoghurt von verschiedenen Herstellern), ähnliche Produkte (Joghurts verschiedener Geschmacksrichtungen) und Verzehralternativen des Produktes (bspw. als Dessert: Fruchtjoghurt, Obstsalat, Tiramisu usw.). Erhalten beispielsweise in der Produktgruppe Müsli das Schoko-, Nuss- und Früchtemüsli eine unterschiedliche Bewertung durch den Nutri-Score, fällt es leicht, die ernährungsphysiologisch günstigere Wahl mit geringerem Zucker- und höherem Ballaststoffgehalt zu erkennen. Das wäre nicht möglich, würden alle Produkte dieser Produktgruppe die gleiche Bewertung erhalten (z. B. alle eine gelbe C-Bewertung).

Es können grundsätzlich alle Produkte mit dem Nutri-Score gekennzeichnet werden, für die eine verpflichtende Nährwertdeklaration gemäß LIMV besteht, demnach nahezu alle Produkte mit einer Nährwerttabelle und einem Zutatenverzeichnis auf der Rückseite der Verpackung. Die Berechnung des Nutri-Score nutzt diese bereits vorhandenen Informationen und „übersetzt“ die Info in zusammengefasster Form. Ausgenommen hiervon sind alkoholische Getränke (Alkoholgehalt <1,2% gemäß LMIV), Supplemente, Säuglingsnahrung und diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke. Darüber hinaus alle unverpackten Lebensmittel, da diese keiner verpflichtenden Nährwertdeklaration unterliegen.
 

Grundprinzip des Nutri-Score

Die Ermittlung des Nutri-Score erfolgt mithilfe eines von unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Frankreich weiterentwickelten Berechnungs-Algorithmus, der auf dem von der britischen Food Standards Agency/Office of Communication entwickelten „UK OfCom Nutrient Profiling Model“ (OfCom-Model bzw. FSA-Score) beruht. Das OfCom-Model wurde dabei ursprünglich entwickelt, um solche ernährungsphysiologisch ungünstigen Lebensmittel und Getränke zu identifizieren, deren an Kinder gerichtete Werbung künftig eingeschränkt werden sollte.

Das OfCom-Model bezieht sich immer auf 100 Gramm bzw. 100 Milliliter eines Lebensmittels, sodass der Produktvergleich unabhängig von der vom Hersteller angegebenen Portionsgröße erfolgt. Die Bewertungsgrundlage greift auf die beim OfCom-Model genutzten Komponenten und Referenzwerte zurück. Ein Punkt wird vergeben, sobald 3,75 % der täglichen Referenzmenge erreicht sind. Die Punktevergabe setzt sich linear in 3,75 % Schritten fort. Es erfolgt keine Bewertung einzelner Nährstoffe, stattdessen werden günstige und ungünstige Nähr-/Inhaltsstoffe miteinander verrechnet.

Als „günstig“ werden solche Nähr-/Inhaltsstoffe bezeichnet, für die ein gesundheitlicher Nutzen mit zunehmendem Verzehr belegt ist. Ihre Zufuhr wird als wünschenswert, d. h. günstig, angesehen. Hierfür gibt es im Algorithmus „Positiv-Punkte“. Hierzu zählen beim Nutri-Score die Ballaststoffe, Proteine als Stellvertreter für Eisen und Calcium, sowie der Anteil an Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten, (vereinfacht: Obst/Gemüse-Komponente).

Mit „ungünstigen“ Nähr-/Inhaltsstoffen sind die Energiedichte, Salz, Fett und Zucker gemeint. Diese sind nicht per se ungünstig. Allerdings werden sie häufig in hohen Mengen verzehrt, sodass mit diesen ein erhöhtes Erkrankungsrisiko ernährungsmitbedingter Erkrankungen verbunden ist, weshalb sie „Negativ-Punkte“ erhalten.

Für günstige Nähr-/Inhaltsstoffe können „Positiv-Punkte“ erreicht werden (vgl. Abbildung 2). Ungünstige Nähr-/Inhaltsstoffe erhalten hingegen „Negativ-Punkte“.  Durch den Abzug der „Positiv-Punkte“ von den „Negativ-Punkten“ ergibt sich für jedes Produkt ene Gesamtpunkzahl, der eine entsprechende Nutri-Score Bewertung zugeordnet wird. Je höher demnach die Gesamtpunktzahl für ein Produkt ausfällt, desto ungünstiger ist die Nutri-Score-Bewertung. Für manche Produktgruppen mussten Anpassungen am Berechnungs-Algorithmus vorgenommen werden, um sicherzustellen, dass eine ausreichende Differenzierbarkeit vorhanden ist. So unterscheidet sich der Algorithmus bei der Bewertung der Produktgruppen „nicht-alkoholische Getränke“, „Fette, Öle, Nüsse und Saaten“ und „allgemeine Lebensmittel“. Dieses Grundprinzip aus dem Jahre 2015 wurde auch bei der Revision des Nutri-Score-Algorithmus von 2023 beibehalten. Die aus dieser Revision hervorgegangenen Anpassungen sind seit Anfang Januar 2024 in Kraft.  
 

Anwendung in der Praxis

Produktvergleiche von ähnlichen Produkten werden durch den Nutri-Score erleichtert, da mit einem Blick erfasst werden kann, was in diesen Fällen die ernährungsphysiologisch günstigere Wahl ist. Hierfür ist kein tiefergehendes Ernährungswissen notwendig. Sinnvoll anwendbar ist dieser Vergleich aber ausschließlich innerhalb einer Produktgruppe und somit für ähnliche Produkte. So kann beim Einkauf mit dem Nutri-Score ein unkomplizierter Vergleich verschiedener zur Wahl stehender Produkte beispielsweise innerhalb der Produktgruppe der Frühstückscerealien erfolgen, um hier schnell und unkompliziert Früchtemüsli mit Schoko-Cerealien zu vergleichen. Möglich ist auch, gleiche Produkte unterschiedlicher Marken miteinander zu vergleichen, beispielsweise Erdbeerjoghurt der Marke A mit Erdbeerjoghurt der Marke B. Ein weiterer Anwendungsbereich ist die Gegenüberstellung von Alternativen für spezifische Verzehrgelegenheiten, d.h. Produkte wie Pudding oder Sahnejoghurt als Alternativen zum Dessert. Ein Vergleich von einem Olivenöl mit einer Teewurst macht somit keinen Sinn, da man die Teewurst ja nicht als Alternative zum Olivenöl kaufen würde.

Der Nutri-Score ergänzt allgemeine Ernährungsempfehlungen

Der Nutri-Score als erweiterte Nährwertkennzeichnung gibt explizit keine Ernährungsempfehlungen. Eine Orientierung für eine insgesamt ausgewogene und gesundheitsfördernde Ernährung geben die lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), welche zusammenfassend vermehrt auf Lebensmittelgruppen- jedoch nicht auf Produktebene, informieren. Im Vordergrund der DGE-Empfehlungen steht die bedarfsgerechte Deckung von Nährstoffen, weshalb sich die quantitativen Verzehrempfehlungen für verschiedene Lebensmittelgruppen unterscheiden. Hierbei werden auch und insbesondere unverpackte Produkte einbezogen. Diese allgemeinen Ernährungsempfehlungen stoßen jedoch an ihre Grenzen, wenn es um die gezielte ernährungsphysiologisch günstigere Wahl einzelner Produkte im Vergleich auf Einzelproduktebene geht. Hier kann der Nutri-Score eine ergänzende Hilfestellung für Verbraucherinnen und Verbraucher sein, da er die Nährstoffzusammensetzung einzelner Lebensmittel zusammengefasst abbildet und so einen schnellen und unkomplizierten Vergleich beim Einkaufen ermöglicht. Eine Einordnung, inwieweit einzelne Lebensmittel gesundheitsförderlich sind oder nicht, leistet der Nutri-Score explizit nicht. Das heißt, es werden keine Lebensmittel als „gesund“ oder „ungesund“ bewertet. Als unabhängige Maßnahme kann er in Ergänzung zu den lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen jedoch zur Senkung des Risikos ernährungsmitbedingter Erkrankungen und somit deren Prävention beitragen. 

Beteiligung des MRI

Im Koalitionsvertrag der 19. Legislaturperiode von 2018 zwischen CDU, CSU und SPD, wurde die Entwicklung eines FoP-Nährwertkennzeichnungsmodells (NWK-Modells) für vorgefertigte Produkte aufgenommen. Der damit verbundene politische Prozess bei der Wahl eines für Deutschland geeigneten NWK-Modells wurde durch das MRI wissenschaftlich begleitet. Unter anderem wurden mehrere weltweit genutzte NWK-Modelle, einschließlich des Nutri-Score, ausführlich beschrieben und unter verschiedensten Gesichtspunkten wissenschaftlich bewertet. Der Nutri-Score ging letztlich im Jahr 2019 aus einer im Auftrag des BMEL durchgeführten repräsentativen Verbraucherbefragung als bevorzugtes Modell hervor und kann seit 2020 rechtssicher von Lebensmittelproduzenten zur Kennzeichnung genutzt werden. 

Die Länder, die den Nutri-Score nutzen, sogenannte "Countries officially engaged in Nutri-Score", kurz COEN, haben Anfang 2021 zur gemeinsamen Koordination zwei transnationale Gremien ins Leben gerufen, um die Verwendung des Nutri-Score und dessen Weiterentwicklung einheitlich zu gestalten. Neben dem Lenkungsausschuss, welcher sich aus Vertreterinnen und Vertretern der jeweiligen nationalen Behörden zusammen, die für die Umsetzung des Nutri-Score in den jeweiligen Ländern verantwortlich sind, hat das internationale wissenschaftliche Gremium die Aufgabe, den Nutri-Score Algorithmus wissenschaftlich unabhängig und evidenzbasiert weiterzuentwickeln. Neben Prof. Anette Buyken von der Universität Paderborn ist mit Dr. Benedikt Merz aus dem Institut für Physiologie und Biochemie der Ernährung auch ein Wissenschaftler aus dem MRI im internationalen wissenschaftlichen Gremium vertreten und somit an der Weiterentwicklung des Nutri-Score aktiv beteiligt.

Bislang hat das wissenschaftlichen Gremium mehrere Berichte erarbeitet, die sich mit der angewandten Methodik sowie mit Änderungsvorschlägen für den Algorithmus für allgemeine Lebensmittel und zugesetzte Fette sowie für Getränke befassen. Alle vorgeschlagenen Änderungen wurden vom Lenkungsausschuss angenommen und sind seit Anfang Januar 2024 in Kraft. Zu den Ergebnisberichten wurde zusätzlich eine entsprechende referierte Veröffentlichung in Nature Food publiziert.