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Max Rubner Conference 2012

Antibiotika in der Lebensmittelkette

Vom 8. bis 10. Oktober 2012 fand am Max Rubner-Institut in Karlsruhe die internationale Max Rubner Conference zu Antibiotika in der Lebensmittelkette statt. Die wissenschaftliche Organisation hatte das Institut für Sicherheit und Qualität bei Getreide des Max Rubner-Instituts am Standort Detmold. Wissenschaftler von Finnland bis Israel, von Norwegen bis Italien kamen nach Karlsruhe, um den aktuellen Stand auf diesem gesellschaftlich wichtigen Forschungsfeld zu referieren.
Prof. Atte von Wright von der Universität Ostfinnland in Kuopia und Prof. Jörg Hartung von der Stiftung Tierärztliche Hochschule in Hannover führten in das Thema ein. Der Einsatz von Antibiotika fand in erheblichem Maße erst ab den 50er Jahren statt, stellte Wright die Historie der Antibiotika-Anwendung vor. Nicht nur in der Humanmedizin, auch in der Tierhaltung wurden Antibiotika eingesetzt. In der Tierhaltung wurde schon bald die Funktion der Antibiotika als Wachstums- oder Mastförderer erkannt. Entsprechend stieg die eingesetzte Menge an Antibiotika im Veterinär-Bereich von 1951 an innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte fast um das Fünfzigfache. Wohingegen in der Humanmedizin der Verbrauch in derselben Zeit lediglich um das Zehnfache wuchs. Auch mit Hilfe von Antibiotika gelang es, die Fleischproduktion - aber auch die Produktion von Eiern und Milch - enorm zu steigern. Doch schon bald wurde auch die Kehrseite des Medikamenteneinsatzes offensichtlich: durch den ständigen und massiven Einsatz von Antibiotika entwickelten sich Resistenzen, insbesondere Stämme von Staphylococcus aureus, die gegen Methicllin und anderen Antibiotika resistent waren, die sogenannten MRSA und etwas später ESBL (Extended Spectrum-Beta-Lactam-Bakterien) – Bakterien, die gegen zahlreiche Antibiotika Resistenzen aufwiesen.

Der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung sei aus mehreren Gründen problematisch, führte Prof. Jörg Hartung aus: Neben der Resistenzbildung, werden mit der Stallabluft Antibiotika, aber auch resistente Mikroorganismen bis zu mehreren hundert Metern in die Umgebung verbracht. Zudem finden sich in Fleisch, Milch und Eiern von Betrieben mit intensivem Antibiotika-Einsatz Rückstände und Abbauprodukte dieser Substanzen. Derzeit würden, so Hartung, von den rund 8.000 bekannten antibiotisch wirksamen Substanzen geschätzte 80 Wirkstoffe in rund 2.700 Präparaten für Mensch und Tier genutzt. In der Tierhaltung überwiegen die Tetrazykline, gefolgt von Beta-Lactamen und der Gruppe der Sulfonamide und Trimethoprim. Insgesamt wurden laut Bericht des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) im Jahr 2011 rund 1.734 Tonnen von Antibiotika von der pharmazeutischen Industrie an Veterinäre geliefert. 

Das Problem der Resistenzbildung von Bakterien gegen in der Medizin eingesetzte Antibiotika wird von Experten schon seit vielen Jahren mit Sorge betrachtet. Als erstes Land verbot Schweden 1986 den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung zur Wachstumsförderung. 2006, zwanzig Jahre später, wurde dieser Einsatz der lebensrettenden Substanzen europaweit verboten. China hätte ebenfalls bekanntgegeben, Antibiotika als Wachstumsförderer ab 2011 zu bannen, so Atte von Wright, in den USA seien sie derzeit noch erlaubt. Wobei es in der Praxis mitunter schwierig ist, zwischen einer Gesundheitsmaßnahme im Bestand und anderen Einsatzzwecken zu unterscheiden. „Immer wenn Antibiotika zur Wachstumsförderung verboten werden, wächst die klinische Anwendung bei Tieren gewaltig. Wobei der zeitgleiche Zuwachs in der Humanmedizin nur minimal ist“, gab Hartung einen Hinweis auf den Kern des Problems.

Nicht nur für die Gesundheit des Menschen sind Antibiotika in der Lebensmittelkette ein Problem. Antibiotika-Rückstände in der Milch verhindern auch die Herstellung von bestimmten Milchprodukten. Ein Grund, warum man sich in diesem Industriezweig schon seit vielen Jahren mit der Entwicklung von Schnellmethoden zum Nachweis der Hemmstoffe befasst. Prof. Erwin Märtlbauer von der Ludwig-Maximilian-Universität in München hat einen Biosensor entwickelt, der innerhalb von nur sechs Minuten Rückstände von 14 Antibiotika parallel messen kann. Auch die Tauglichkeit unter Realbedingungen des Biosensors wurde bereits getestet. Nun geht es nur noch darum, für den Biosensor ein möglichst kleines und so direkt auf den Höfen verwendbares Gehäuse zu entwickeln. Auch bei der Firma Eurofins, die im Auftrag von Unternehmen nach Rückständen von Antibiotika fahndet und beim Institut für Lebensmittelsicherheit der Universität Wageningen in den Niederlanden sieht man die heute möglichen Laborleistungen auf dem Gebiet der Rückstandsanalyse durchaus als Erfolg. Mit hochspezialisierten Analysemethoden sind sowohl schnelle Screenings als auch – längerfristig – eine exakte Recherche nach den verschiedensten Antibiotika durchzuführen. „Die modernen Analysemethoden haben gemeinsam“, erklärte Dr. Alida A.M. (Linda) Stolker vom Forschungszentrum in Wageningen (RIKILT), „dass sie schnell sind, nach zahlreichen Antibiotika gleichzeitig suchen können und dass sie in einem hochempfindlichen Bereich bis zu Nanogramm in Kilogramm einsetzbar sind.“

Der aktuelle Status des Antibiotika-Einsatzes in den einzelnen Lebensmittelgruppen war Thema der dritten Session der Max Rubner Conference 2012. Wie Dr. Harrie van den Bijgaart vom Labor Qlip N.V. in Zutphen in den Niederlanden berichtete, werden etwa 43 Prozent der angewendeten Antibiotika beim Trockenstellen von Kühen eingesetzt. Ein weiterer großer Teil kommt bei der Behandlung von Entzündungen des Euters zum Einsatz. Da sich die Niederlande zum Ziel gesetzt haben, den Einsatz von Antibiotika bis 2013 um die Hälfte zu reduzieren, werde auch mit alternativen Verfahren experimentiert. Dazu gehört die Anwendung von homöopathischen Produkten, aber auch die Impfung gegen Mastitis. An jedem relevanten Punkt in der Milchverarbeitung wird auf Antibiotika-Rückstände getestet. Mit umfassenden Herden-Management-Plänen versucht man das Problem an der Wurzel anzugehen.

Trotz des häufigen Einsatzes von Antibiotika in der Tierhaltung, sei die Zahl der gefundenen positiven Proben im Fleisch und in Fleischprodukten gering, stellte Prof. Gerd Hamscher von der Universität Gießen fest und zitierte aus dem Nationalen Rückstandskontrollplan 2010 des BVL.: Von 263.970 Proben waren 664 positiv – wobei zwei von drei Proben Rückstände von Tetrazyklinen enthalten hätten. Interessanter schien ihm die Situation beim Lebensmittel Honig. Hier gibt es keine Zulassung für den Einsatz von Antibiotika. Dennoch würden mehr positive Proben beim Honig ermittelt als beim Fleisch. Dies sei besonders problematisch, so Hamscher, weil Antibiotika im Honig keinem Metabolismus unterliegen, sondern direkt im Honig aufzufinden ist. Grundsätzlich vertrat Hamscher die Ansicht, dass es dringend nötig sei, den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung wo möglich zu reduzieren. „Irgendwo gehen die Substanzen hin, viele Bestandteile sind sehr persistent. Meistens landet ein Cocktail daraus im Boden, in den Pflanzen und im Staub.“ Diese Auffassung bestätigten auch die Ergebnisse der Untersuchungen von Dr. Christine Schwake-Anduschus, Max Rubner-Institut, für Getreide und Prof. Manfred Grote, Universität Paderborn, für Gemüse. In der Wachstumskammer wie auch unter realen Bedingungen in der Umwelt konnte nachgewiesen werden, dass bestimmte Antibiotika und ihre Abbauprodukte, darunter Chlortetrazyklin von den Wurzeln der Pflanzen aufgenommen werden und bei Getreide bis in die Körner, bei Lauch, Salat oder Kohl bis in die Blätter transportiert werden. Dabei lag die nachgewiesene Menge der Substanzen beim Getreide bei maximal fünf Mikrogramm pro Kilogramm, beim Gemüse reichten die Konzentrationen vom Mikrogramm- bis zum Milligramm-Bereich pro Kilogramm Frischmasse.
 
Mehr als 100 von Bakterien verursachte Krankheiten kommen bei Fischen vor. Auch hier werden Antibiotika zur Bekämpfung verwendet. Allerdings seien Tetrazykline wegen ihrer starken Bindung nicht gut geeignet, wie Dr. Bjørn Tore Lunestad von Nationalen Forschungsinstitut für Ernährung, Fisch und Meeresfrüchte in Norwegen anmerkte. Insgesamt sei es beim Einsatz von Antibiotika bei Fischen, wenn das Medikament übers Futter zugeführt wird, besonders schwierig, dieses nicht vorbeugend, sondern erst therapeutisch einzusetzen, da Fische bei Erkrankung kaum noch Futter und damit die Substanzen zu sich nehmen. Seit 1993 habe die Verwendung von Antibiotika in Fischbeständen in Norwegen stark abgenommen. Ein Grund dafür war die starke Zunahme von multiresistenten Keimen in Fischfarmen und damit der Rückgang der Antibiotika-Wirkung. Stattdessen setze man verstärkt – und erfolgreich - auf Impfung der Tiere.
 
Die vielfältigen Möglichkeiten Resistenzen bei Bakterien weiterzugeben, die in der folgenden Session dargestellt wurden, erklären überdeutlich, warum das Problem in den letzten Jahren so schnell und so stark zugenommen hat. Zumal, wie Prof. Jesús Blázquez vom Nationalen Zentrum für Biotechnologie in Spanien, präsentierte, es auch dann zur Resistenzausbildung kommen kann, wenn die Bakterien Kontakt zu niedrigen Konzentrationen von Antibiotika haben, die zum Beispiel 50 Prozent unter der MIC, der Minimalen Hemmstoffkonzentration liegt. In konventionell arbeitenden Landwirtschafts¬betrieben sind bestimmte MRSA im Tierbestand, insbesondere bei Schweinen, aber auch bei den dort arbeitenden Personen, die zu den Tieren direkten Kontakt haben, sehr verbreitet. Die resistenten Keime wurden in einer Untersuchung in mehr als 86 Prozent der Proben nachgewiesen. Die in der Landwirtschaft auftretenden sogenannten LA-MRSA (Lebensmittel-assoziierte MRSA) seien allerdings nicht mit den MRSA identisch, die in Krankenhäusern inzwischen teilweise weit verbreitet seien, stellte Prof. Wolfgang Witte vom Robert Koch-Institut (RKI) klar. In dieser Umgebung waren nur 0,08 bis 2 Prozent der Proben positiv bezüglich LA-MRSA, wobei die Rate in ländlichen Gegenden zunimmt. Allerdings sind Infektionen mit LA-MRSA nicht weniger gefährlich wie Infektionen mit Staphylococcus aureus im Allgemeinen. Sie sind Verursacher für Wundinfektionen in der Folge von Operationen und sogar von Blutvergiftung.

Insgesamt gibt es in der aktuellen Situation keinen Grund zur Beruhigung. Prof. Herbert Hächler von der Universität Zürich verwies in seinem Vortrag auf zahlreiche bekannte Studien zu Ausbrüchen von Krankenhausinfektionen auf Grund von resistenten Keimen. Gerade unter den hygienischen Bedingungen der Krankenhäuser sei der Druck auf die Bakterien, Resistenzen auszubilden besonders hoch. Hier droht nach seiner Einschätzung eine große Gefahr, insbesondere auch durch ESBL-Bakterien, die gegen Beta-Laktam-Antibiotika resistent sind. „Das ist angesichts der Tatsache, dass weltweit zwei Drittel der therapeutisch eingesetzten Bakterien bei Menschen zur Gruppe der Beta-Laktame gehören, besonders Besorgnis erregend“, so Hächler.

Inwieweit die in der Nahrungsmittelherstellung eingesetzten Bakterien, wie Probiotika, Schutzkulturen oder Fermentationsbakterien und die Herstellungsbedingungen bei der Übertragung von Resistenzen eine Rolle spielen, wird derzeit untersucht. Dass Bakterien mit Resistenzgenen sowohl bei den Herstellungsprozessen als auch auf Produkten wie Schmierekäse auftreten, konnten Prof. Geert Huys von der Ghent Universität in Belgien und Dr. Wilhelm Bockelmann vom Max Rubner-Institut bestätigen. Die Frage der Relevanz für die menschliche Gesundheit ist dagegen noch offen. Klar ist jedoch, dass von der EFSA gefordert wird, dass Bakterienstämme, die gezielt in der Lebensmittelherstellung oder als Probiotika eingesetzt werden, keine übertragbaren Antibiotikaresistenzen besitzen dürfen.

Neben der in vielen Beiträgen vorgetragenen Aufforderung, mit Antibiotika äußerst vorsichtig umzugehen und sie nur noch sehr gezielt einzusetzen, wurden immer wieder auch Ansätze vorgeschlagen, um von den für den Menschen lebenswichtigen Substanzen – insbesondere in der Tierhaltung – wegzukommen. Dabei vertraten Prof. Witte vom RKI wie auch Prof. Thomas Blaha von der Stiftung Tierärztliche Hochschule in Hannover die Meinung, dass zunächst bei den Bedingungen Tierhaltung anzusetzen sei. Das Management der Tierbestände wie auch die strukturellen Bedingungen waren für beide die Hebel, an denen staatliche Reduktionspläne ansetzen können. Ein wichtiger Weg dabei ist die Kommunikation mit den Tierhaltern wie auch den Tierärzten. Tatsächlich setzen Länder wie Dänemark, Norwegen und die Niederlande darauf, mit Beratung und Restriktionen bei fortgesetzt zu hohem Antibiotika-Einsatz auf die Reduzierung hinzuarbeiten. Forschungsprojekte zur Verminderung des Antibiotika-Einsatzes durch diverse Naturprodukte, Prä- oder Probiotika ergaben, wie Prof. Roni Shapira von der Hebrew Universität in Jerusalem und Dr. Lorenzo Nissen von der Bologna Universität in Italien vortrugen, zwar interessante Ansätze, aber noch keine Handlungsalternativen. Wichtig sei insbesondere, so Blaha, das Bewusstsein beim Umgang mit Antibiotika zu schärfen. „Noch viel zu Wenige haben erkannt, dass es sich hier nicht um eine Privatsache, sondern um ein öffentliches Gut handelt, das unbedingt zu schützen ist.“

Ein Gedanke, der sich auch durch die anschließende Diskussion zog, an der – moderiert von Prof. Gerhard Rechkemmer, Präsident des Max Rubner-Instituts – Bernhard Kühnle, Abteilungsleiter beim Bundeministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Dr. Helmut Tschiersky-Schöneburg, Präsident des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Dr. med. vet. Thomas große Beilage von der Bundestierärztekammer und Jutta Jaksche von der Verbraucherzentrale Bundesverband teilnahmen.