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6. NRZ-Authent Fachgespräch

Authentizität von Fischereierzeugnissen

Zum ersten Mal empfing das Nationale Referenzzentrum für authentische Lebensmittel zusammen mit dem Institut für Sicherheit und Qualität bei Milch und Fisch (Institut MF) des Max Rubner-Institutes am 6. Juni 2024 fast 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus zehn Bundesländern, Österreich und von der EU am MRI-Standort in Kiel. Das jährlich stattfindende Fachgespräch beschäftigte sich dieses Mal mit dem Thema Authentizität von Fischereierzeugnissen.

Die bekanntesten Fälschungsarten bei Fischerzeugnissen sind die Speziessubstitution (Ersatz einer teuren Art durch eine billigere), der Fremdwasserzusatz (Gewichtserhöhung; zumeist bei Tiefkühlprodukten) und nicht zulässige farbstabilisierende Behandlungen (Umrötungen). Fischereierzeugnisse waren im Jahr 2022 erneut Untersuchungsschwerpunkt einer OPSON-Operation (XI) und zeigten dabei eine hohe Beanstandungsquote von 16 Prozent – mit  „Fisch aus Asien“ und „Betrug bei Thunfisch“ standen Fischthemen schon bei zwei früheren OPSON-Operationen (V und VII) im Fokus. Fisch, Krebs- und Weichtiere sind zudem laut jährlichem Report des EU Agri-Food Fraud Network regelmäßig in den Top 5 der am meisten gefälschten Lebensmittelproduktkategorien zu finden.

Wie man dem Betrug bei Fischereierzeugnissen analytisch auf die Spur kommt, nahm das Fachgespräch daher als Ausgangsfrage in den Fokus, um den aktuellen Stand der Methoden und Kompetenzen zu diskutieren und noch bestehende Forschungsbedarfe etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Ilka Haase, Leiterin des Nationalen Referenzzentrums und Ronald Maul, stellvertretender Leiter des Instituts für Sicherheit und Qualität bei Milch und Fisch, begrüßten gemeinsam die Teilnehmenden und stellten das Tagesprogramm sowie die thematische Bandbreite der beiden Einrichtungen am Standort Kiel vor.

Den Anfang machte Jonas Rietsch vom NRZ-Authent in Kulmbach mit einem Vortrag zur bildbasierten Fischartenerkennung mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI). Der geplante Einsatz der Anwendung liegt bei vor-Ort-Kontrollen und Überprüfungen durch die Lebensmittelüberwachung – auch in Kombination mit klassisch-analytischen Methoden. Das Projekt teilt sich in die Datensammlung der Fischbilder, die Kuration der erhaltenen Daten sowie die Entwicklung der Anwendung selbst. Letztere umfasst das Training von Modellen des maschinellen Lernens, insbesondere des „Deep Learning“, als „Multiclass-Klassifikation“ (genau eine Fischart pro Bild). Dabei werden vortrainierte „Convolutional Neural Networks“ verwendet und mit den im Projekt gesammelten Daten weitertrainiert. Eine besondere Herausforderung im Projekt stellt der Mangel an Bildern mit analytisch verifizierter Fischart und die Qualität von Bildern aus öffentlichen Quellen dar. Die Diskussion fokussierte sich auf die Frage der näheren Eingrenzung der für die Lebensmittelüberwachung relevanten Fische, wie z. B. Fische mit Vermarktungsnormen bzw. offiziellen Handelsbezeichnungen, die Differenzierung ähnlicher Arten (Flunder / Scholle, Schnapperarten) oder die Problematik der Veränderung des Aussehens der Fische mit der Zeit. Von Teilnehmendenseite kam zudem der Hinweis, dass es vergleichbare Programmentwicklungen in Dänemark und den Niederlanden gibt.

In ihrem Vortrag zur Fischartendifferenzierung stellten Regina Klapper und Patrizia Bade vom NRZ-Authent den aktuellen Stand vier verschiedener NRZ-Authent Projekte zu Fischereierzeugnissen mit dem Schwerpunkt der Kennzeichnung bzw. Artendifferenzierung, z. B. im Onlinehandel vor; letzteres zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Institut MF und dem LAVES Cuxhaven. Von 32 der bei über elf Handelsportalen bestellten Fischereierzeugnissen waren alle Proben mikrobiologisch unauffällig und auch ausreichend gekühlt; bei einer Probe zeigten sich jedoch Hinweise auf einen deutlichen Wasserzusatz. Bei fünf von 32 Proben traten Unstimmigkeiten zwischen Deklaration und identifizierter Fischart auf, bei weiteren drei war die Handelsbezeichnung im Verhältnis zum wissenschaftlichen Namen inkorrekt. Im zweiten Projekt wurden Vorarbeiten für einen geplanten Ringversuch einer §64 LFGB Arbeitsgruppe des BVL zur Fischartenidentifizierung mittels Next Generation Sequencing (NGS) vorgestellt. Mit der Information, dass die Fish-Fit Plattform (www.fish-fit.org) online ist, gab Regina Klapper an ihre NRZ-Authent Kollegin Patrizia Bade über, die über den Stand ihres Projektes zu Schnappern berichtete.

Sabine Wolf vom LAVES Cuxhaven stellte ihre alltäglichen Arbeiten zur Fischartendifferenzierung bzw. Handelsbezeichnungen in Bezug auf die beiden EU-Verordnungen 1169/2011 und 1379/2013 vor (allgemeine Kennzeichnungsvorschriften sowie zur Fischetikettierung). Die ist besonders interessant, dass ca. 90 Prozent der verzehrten Fische in Deutschland importiert werden. Häufige irreführende Praktiken sind die Substitution von Arten sowie die Fehldeklaration, die mittels mehrfacher Beispiele (Großer Gelbfisch, Steinbeißer) aus der Überwachungspraxis interessant illustriert wurden. Bei der Überprüfung der Art ist die morphologische Untersuchung aufgrund der häufiger verkauften Filetstücke etwas in den Hintergrund getreten; mehr angewandt werden daher die PCR- als auch Protein-basierte Methoden.

Ute Schröder vom Institut MF berichtete zur Authentizität von Cephalopoden oder Kopffüßern wie Octopus, Kalmar sowie Sepia, die mit ca. 3,7 Millionen Tonnen 2,5 Prozent der globalen Seafood-Produktion ausmachen. Unterschiedlichste Arten von verschiedenen Gattungen dürfen mit einer einzigen Handelsbezeichnung wie z.B. „Tintenfisch“ gehandelt werden, so dass die Konsumentinnen und Konsumenten kaum differenzieren können, sofern sie nicht den wissenschaftlichen Namen der Arten hinzuziehen. Häufige Fälschungsarten bei den Cephalopoden sind der Fremdwasserzusatz sowie der Artenersatz. In einer Laborvergleichsstudie zum DNA-Barcoding mit drei Primern (16S rRNA, COI, cytb) stellte sich heraus, dass mit COI die besten Ergebnisse auf Speziesebene erzielt werden konnten; nichtsdestotrotz ist die Benutzung von zwei Genmarkern sinnvoller. Bei der Produktanalyse von 18 tiefgefrorenen Produkten waren ganze 10 falsch gekennzeichnet (Unterschied Deklaration und lat. Name) – also eine sehr hohe Quote von über 55 Prozent. Bei verarbeiteten bzw. hochprozessierten Tintenfischerzeugnissen wie Meeresfrüchtecocktails, Konserven oder panierten Tintenfischringen gab es hingegen keine Falschkennzeichnung, jedoch ist hier auch die Speziesdifferenzierung (z. B. für eine NGS-Methodik) auch deutlich herausfordernder. Es wurden nur Teilproben mittels Sanger-Sequenzierung analysiert; eine Gesamtanalyse der Erzeugnisse mit NGS konnte bisher nicht realisiert werden.

Nach der Mittagspause (mit Laborführung) eröffnete Henner Neuhaus vom LAVES Cuxhaven die Nachmittagsvortragsreihe. Im Mittelpunkt seines Vortrags stand der Fremdwasserzusatz bei Fischereierzeugnissen bzw. Fischen (lt. VO (EU) 1169/2011), d. h. wenn mehr als fünf Prozent nicht deklarierter Wasserzusatz aufzufinden ist. Bei über 5 Prozent muss Fremdwasserzusatz deklariert werden („mit zugesetztem Wasser“); bei über 12 Prozent ist die Änderung des Erzeugnisses so deutlich, dass man von einem anderen, stark verarbeiteten Produkt sprechen muss (Aliud) – sozusagen eher  „Wasser mit zugesetztem Pangasius“. Die erste analytische Herausforderung ist, dass der physiologische Wassergehalt je nach Art sehr unterschiedlich ist und somit keine einheitlichen Grenzwerte über alle Fischarten festgelegt werden können. Ein guter optischer Hinweis für einen Fremdwasserzusatz bei z. B. Garnelen ist eine deutlich beobachtbare Schrumpfung nach dem Kochen. Chemisch hingegen wird ein möglicher Wasserzusatz durch den Wasser/Eiweiß-Quotienten (Vergleich mit Referenzwerten – Herausforderung: siehe oben) ermittelt. Dabei sind diese analytischen Ergebnisse immer in Kombination mit einer umfangreichen sensorischen Überprüfung zu bewerten. Die Ergebnisse von langjährigen Untersuchungen hat die ALTS AG „Fisch“ benutzt, um einen entsprechenden Leitfaden zu dieser Problematik zu erstellen. Abschließend berichtete Herr Neuhaus noch zu aktuellen Untersuchungen zu Fremdwasserzusatz im LAVES Cuxhaven.

Katja Kaltenbach (NRZ-Authent) stellte die Unterscheidung von frischem und aufgetautem Fisch mittels Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) vor. Lt. VO (EU) 1379/2013 müssen aufgetaute Produkte entsprechend deklariert werden. Eine analytische Unterscheidung von frischem und aufgetautem Fisch ist durch kontinuierliche postmortale Prozesse erschwert, eine simultane Analyse möglichst vieler niedermolekularer Substanzen aus dem Fischfleisch könnte zielführend sein. In diesem Projekt sollte eine NMR-basierte Analyse der niedermolekularen Substanzen in Kombination mit einer multivariaten Datenauswertung (Aufbau von Klassifikationsmodellen) erprobt werden. Die Untersuchung von 317 Proben von Makrelen, Regenbogenforellen und dem Atlantischen Kabeljau erreichte eine mittlere Vorhersagegenauigkeit von größer 90 Prozent und sogar mehr als 95 Prozent bei Datenfusionierungen (lipophile und hydrophile Metaboliten). Eine Grenze der Methodik stellt allerdings die Übertragung auf Fischproben anderer Fischarten zur Vorhersage von frischem und aufgetautem Fisch dar. Darüber hinaus wurde diskutiert, wie bei einer Laborvergleichsuntersuchung die Proben vorbereitet (z. B. Versand von Filetstücken oder des homogenisierten Fischfilets) und versendet werden könnten, um vergleichbare Ergebnisse zu erzielen.

Nach der Kaffeepause widmete sich Joachim Molkentin (Institut MF) dem Thema Stabilisotopenanalytik (IRMS) als Authentifizierungswerkzeug, das – wie er aufzeigte – für die Untersuchung vieler Verfälschungsarten geeignet ist, so z. B. für die Unterscheidung der Herstellungsweise bei Lachs (ökologisch, konventionell oder Wildfang, auch bei Graved Lachs und Räucherlachs). Bei wild gefangenen Doraden war eine Trennung nach Spezies, jedoch nicht nach geografischer Herkunft möglich; bei Miesmuscheln gelang im Einzelfall eher der Ausschluss einer angegebenen Herkunft, nach Datenfusion mit Spurenelementprofilen der Schale jedoch eine vollumfängliche Zuordnung. Bei Kabeljau und Dorsch konnten die Fanggebiete Ost- und Nordsee allein mit IRMS zu 97 % klar unterschieden werden, während eine Datenfusion mit Fettsäuremustern nur minimale Verbesserungen erbrachte. Anhand von Analysen von Meerwasser, Gewebewasser und Trinkwasser konnte gezeigt werden, dass der δ18O-Wert in Seefisch bei Fremdwasserzugabe entsprechend sinkt. Allerdings fehlt hier noch eine Datenbank mit Referenzwerten, um den aktiven Zusatz von Wasser im Vergleich zu technisch unvermeidlichem Fremdwasser oder Prozesswasser (bspw. bei Glasurwasser) sicher zu unterscheiden.

Den Abschluss des Tages machte Thomas Wenzl vom Joint Research Centre der Europäischen Kommission in Geel/Belgien mit dem Thema nicht autorisierte Umrötung von Thunfisch. Thunfisch macht ca. 10 Prozent des Fischhandels in Europa aus (Hauptproduzent Spanien). Insgesamt werden ca. 1,3 Millionen Tonnen Thunfisch in der EU verzehrt; pro Kopf ca. drei Kilo Thunfisch pro Jahr. Die leuchtend rote Umfärbung kann beispielsweise mittels farbreaktivierenden Pflanzenextraktmischungen (z. B. Trivaris Patent) erfolgen, die natürlicherweise Nitrat beinhalten. Detektieren kann man die Umrötung mittels Spektrophotometrie, aber auch mittels der Dampfraum-Gaschromatographie-Massenspektrometrie. Die Übertragbarkeit der letztgenannten Methode soll nun im Rahmen einer Laborvergleichsuntersuchung überprüft werden.

Fazit: Das erste Fachgespräch am Standort Kiel fand bei allen Teilnehmenden großen Anklang. Neben den Fachvorträgen wurden auch die Pausen genutzt, um miteinander zu diskutieren und sich fachlich auszutauschen. Ilka Hasse bedankte sich noch einmal bei allen Referentinnen und Referenten und verwies auf die nächste NRZ-Authent Veranstaltung; den online-Workshop für Expertinnen und Experten im Spätherbst 2024.